Seit dem 1. Januar 2021 sind zwei Forscher der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik beteiligt an einem neuen Sonderforschungsbereich der DFG.
Der SFB 1461 mit dem Titel „Neuroelektronik: Biologisch inspirierte Informationsverarbeitung“, der an der Christian-Albrechts-Universität Kiel angesiedelt ist, befasst sich mit der Fragestellung, wie sich die Informationsverarbeitung in biologischen Nervensystemen mit neuartigen elektrischen Schaltungen realisieren lässt.
Zum Hintergrund: Das menschliche Gehirn gilt im Vergleich zu den Computern, die wir heutzutage herstellen, immer noch als das effizienteste Netz. Es verfügt über komplexe Strukturen, die unsere kognitiven Fähigkeiten definieren und beeinflussen. Unser Gehirn ist in der Lage, sich jederzeit wechselnden Bedingungen anzupassen und dabei zahlreiche Informationen parallel zu verarbeiten.
Das alles passiert allein über unser hochkomplexes Nervensystem. Gemeinsam mit acht weiteren Partnerinstitutionen erforschen nun die beiden Forscher-Teams der RUB wie man die Informationswege in Nervensystemen auf die technische Informationsverarbeitung übertragen kann, um somit die Energieeffizienz bestehender Systeme zu verbessern.
Konkret beschäftigen sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Ruhr-Universität Bochum mit dieser Fragestellung im Rahmen von drei Teilprojekten: „Der Modellierung des Wachstums neuronaler Schaltkreise und der Verarbeitung sensorischer Informationen von Hydra“ (A1), der „Entwicklung von nanoskaligen Oszillatornetzwerken (B1)“ und der „Mehrskalen-Transportmodellierung (C5)“.
Doch was steckt dahinter? Für das Projekt A1 hat man sich folgende Fragen gestellt: Welche Grundprinzipien liegen dem Wachstum und der Bildung des Nervennetzes bei der Entwicklung von Hydra-Polypen zugrunde? Zur Beantwortung dieser Frage wird die Entwicklung zwischen zwei Stadien untersucht: das Nervennetz der Hydra-Polypen im Ei und nach dem Schlüpfen, also im Jungstadium. In einer zweiten Phase wird dann untersucht, wie Neuronengruppen miteinander interagieren. Welche Neuronengruppe tauscht Informationen mit welcher aus und welchen Zwecken dient dieser Austausch?
Das Projekt unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. h. c. Thomas Bosch von der CAU zu Kiel und Priv.-Doz. Dr.-Ing. Karlheinz Ochs vom Lehrstuhl für Digitale Kommunikationssysteme der Ruhr-Universität Bochum setzt beim Wachstum funktionaler Schaltkreise an und befasst sich mit der Modellierung der sensorischen Informationsverarbeitung des Nervensystems. Hierbei soll erforscht werden, auf welchen grundlegenden biologischen Prinzipien des Wachstums die neuronalen Schaltkreise beruhen. Emulationen lichtabhängiger Körperkontraktionen von Hydra-Polypen sowie der zugehörigen Aktivitätsmuster sollen Aufschluss darüber geben, wie genau das Nervensystem eines Hydra-Polypen visuelle Informationen verarbeitet.
Da die lichtabhängigen Körperkontraktionen für die Hydra-Polypen überlebenswichtig sind, wird erwartet, dass dem Wachstumsprozess während der Ontogenese besondere biologische Mechanismen zugrunde liegen, die für eine robuste Funktionsweise der neuronalen Netze sorgen. Für die Forschung ist es wichtig herauszufinden, welche Mindestanforderungen an neuronale Schaltkreise zur Verarbeitung sensorischer Informationen bestehen und wie sich beispielsweise die biologischen Mechanismen der Selbstheilung technisch nutzen lassen. Das Ergebnis dieses Projektes wird konzeptionelle Einblicke in die Komplexität des Wachstums neuronaler Schaltkreise geben können, vor allem in Hinblick auf die Verarbeitung sensorischer Informationen.
Während sich das Projekt A1 vor allem mit der Modellierung der Signalverarbeitung des Hydra-Polypen beschäftigt, transferiert das Projekt B1 mit dem Titel „Entwicklung von nanoskaligen Oszillatornetzwerken“ fundamentale biologische Mechanismen auf elektrische Schaltungen. In diesem Projekt, das ebenfalls unter der Leitung von Priv.-Doz. Dr.-Ing. Karlheinz Ochs in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Hermann Kohlstedt von der CAU zu Kiel steht, dienen die grundlegenden Mechanismen der biologischen Informationsverarbeitung als Richtlinie für neuartige neuromorphe Schaltkreise. Dazu werden unter anderem die Plastizität, das neuronale Netzwerkwachstum, die neuronale Regeneration sowie dynamische und morphologische Prozesse unter externen Stimuli untersucht. Einen Schwerpunkt bilden sogenannte „Oszillatornetzwerke“, bei denen Oszillatoren mit Memristoren zu zwei- oder dreidimensionalen Strukturen zusammengeschaltet werden. Ein Memristor ist dabei ein Widerstand mit Gedächtnis, dessen Widerstandswert etwa von der hindurchgeflossenen Ladung abhängig ist.
Im Teilprojekt C5 beschäftigt sich Professor Dr.-Ing. Thomas Mussenbrock vom Lehrstuhl für Plasmatechnik gemeinsam mit seinem Cottbuser Kollegen Dr.-Ing. Jan Trieschmann zum einen mit Modellierung und Simulation der für die Fabrikation von Memristoren genutzten Prozessplasmen und Plasmaprozesse und zum anderen mit der theoretischen Beschreibung des elektronischen Verhaltens der Memristoren. Die Herausforderung für die beiden theoretischen Elektrotechniker besteht darin, langsame und schnelle physikalische Phänomene auf großen und kleinen Längenskalen im Rahmen eines einzigen mathematischen Modells zu beschreiben. Solche sogenannten Mehrskalenprobleme sollen mit Hilfe der Kopplung von klassischen Verfahren und modernen Methoden des maschinellen Lernens gelöst werden. Damit können nicht nur fundamentale Erkenntnisse im Bereich der Herstellung der nur wenige Nanometer dicken Bauelemente, sondern darüber hinaus auch grundsätzliches Verständnis ihre Funktionsweise gewonnen werden.
„Dieser interdisziplinäre SFB gibt uns eine einzigartige Möglichkeit, die Ursprünge der biologischen Informationsverarbeitung zu verstehen und für neuartige elektrische Schaltungen nutzbar zu machen. Zusammen mit meinen Fachkollegen möchte ich dazu beitragen, einen Dymorph-Prozessor mit einer selbstorganisierenden, gedächtnisbehafteten Topologie zu entwickeln, der das Potential hat, die elektrotechnische Informationsverarbeitung zu revolutionieren“, so Dr.-Ing. Karlheinz Ochs.
Die Schlüsselfrage der beiden eng verzahnten Projekte ist, inwieweit die biologische Informationsverarbeitung auf neuromorphe Schaltkreise übertragen werden kann. Ziel ist es, einen Dymorph-Prozessor zu entwickeln, dessen Topologie sich selbst-organisierend an externe Stimuli anpasst. Erkenntnisse über solch evolutionäre Grundprinzipien könnten einerseits für die Entwicklung dynamischer technischer und hochleistungsfähiger Netzwerke wichtige Impulse liefern und andererseits klären, wie sich das Nervensystem trotz unterschiedlicher Umwelteinflüsse zu einem immer komplexer werdenden leistungsfähigen Netzwerk entwickelt konnte. (Fotos: CAU zu Kiel)
Faktencheck:
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert den neuen Sonderforschungsbereich (SFB) 1461 „Neuroelektronik: Biologisch inspirierte Informationsverarbeitung“ mit rund 11.5 Millionen Euro. Das interdisziplinäre Großforschungsprojekt zu bioinspirierter Informationsverarbeitung ist an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel angesiedelt.
Einen weiteren Artikel zum neuen SFB finden Sie auf der RUB-News-Seite unter https://news.rub.de/wissenschaft/2021-01-04-elektrotechnik-und-informationstechnik-rechner-nach-dem-vorbild-des-gehirns.